Frauen sind von der Ungleichverteilung der Arbeitszeiten sehr viel stärker betroffen als Männer. Deutschland hat mit 8 Stunden Differenz zwischen den Erwerbsarbeitszeiten von Männern und Frauen einen der grössten Gender Time Gaps in Europa und immer noch verrichten Frauen den Großteil der Haus- und Sorgearbeit. Wenn Kinder kommen, scheint es oft selbstverständlich, dass der Vater nur zwei "Papamonate" nimmt und dann weiter Karriere macht, währen die Mutter meist längere Zeit zuhause bleibt, die Arbeitszeit drastisch verkürzt oder gar überhaupt nicht mehr in den Beruf zurückkehrt. Dazu kommen Institutionen, die diese Ungleichheit noch verstärken, wie das Ehegattensplitting und in Westdeutschland die Tradition von Halbtagskinderbetreuung und -schule. Folgen dieser geschlechterungerechten Verteilung von Arbeitszeit sind für viele Frauen finanzielle Abhängigkeit von Mann oder Staat und später mit hoher Wahrscheinlichkeit Altersarmut.
Teilzeitbeschäftigung bei Männern und Frauen, Quelle: Datenreport 2021, Bundeszentrale für politische Bildung, s. 157.
Soziologin und Philosophin Frigga Haug hat die Ungleichheit der unbezahlten Arbeit zu einem der treibenden Gründe hinter ihrem 4 in 1 Modell erklärt. Demnach ist alle Arbeitslast vier gleichwertigen Kategorien zuzuordnen: (Re-)Produktion, also klassische kapitalistische Lohnarbeit;
dann die Sorgearbeit, die heute - oft unbezahlt - von Frauen ausgeübt wird;
der Bereich des Lernens/der Selbstentfaltung oder nach Marx die "Welt produktiver Anlagen. Heute würde man dies als Humankapital bezeichnen;
und schließlich die Gesellschaftsgestaltung/Politik.
Diese gesamtgesellschaftlichen Arbeiten sollten von jedem gleichermaßen übernommen werden. Das besondere an Frigga Haugs Ansatz ist die Einfachheit und soziale Selbstverantwortung, die vielen sonst sehr komplizierten kritischen Theorien gegenübersteht.
Ein Mittel gegen die Ungerechtigkeit zwischen der Arbeitsverteilung von Frau und Mann wäre eine allgemeine Wochenarbeitszeit um die 30 Stunden ('kurze Vollzeit'). 30 Stunden entsprechen zum einen der Zeit, die sich Eltern von schulpflichtigen Kindern wünschen würden, zum anderen würde die freigewordene Arbeitskapazität gleichermaßen auf alle Geschlechter verteilt werden können.
Angesichts zunehmend offen liegender Vereinbarkeitskonflikte und dem weit verbreiteten Wunsch nach mehr Arbeitszeitsouveränität unter Beschäftigten haben einige Gewerkschaften die "tarifliche Wahloption" eingeführt, die es Beschäftigten erlaubt jährlich zwischen mehr frei verfügbarer Zeit (gemeint sind hier mehr Urlaubstage oder eine verkürzte Wochenarbeitszeit) und mehr Geld zu entscheiden.
Mellies et al. gehen in diesem Artikel der Frage nach, inwiefern sich in der Wahl von Zeit und den entsprechenden Motiven im Rahmen dieser jährlichen Wahloption geschlechts- und elternschaftsspezifische Unterschiede finden.
Die Fragestellung schließt an den Forschungsstand zu Geschlechterungleichheiten im Arbeits- und familiären Kontext an. Mit Blick auf gesellschaftliche Normen wie das "male bread winner Modell" und eine möglichst weitreichend gegebene Verfügbarkeit von individueller Arbeitskraft, die sich herkömmlicherweise in besonderer Weise an Männer richtet nehmen die Autor:innen an, dass eine Wahl zugunsten von mehr Zeit für Männer einen "doppelten Rollenverstoß" darstellen würde, während sich Frauen von ihr eher mehr Erholungszeit und eine bessere Vereinbarkeit von beruflichen und privaten Anforderungen versprechen könnten.
Die herangezogenen Angaben der Beschäftigten ergeben, dass sowohl Männer als auch Frauen mehrheitlich mehr Zeit wählen. Unter den Männern sind es 62% und unter den Frauen 72,2 %.
Ein geschlechtsspezifischer Unterschied wird weiterhin darin deutlich, dass die Differenz zwischen Frauen mit und ohne Kindern unter 14 Jahren im Haushalt bei der Entscheidung stärker ausfällt als zwischen Vätern und kinderlosen Männern.
Die Motive der Befragten werden hingegen stärker vom Familienstatus als vom Geschlecht bestimmt.
So sind mehr Zeit für Hobbies, Freunde und sich selbst im Falle einer Elternschaft stärker als Motiv vertreten, während mehr Zeit für die Familie für kinderlose Frauen und Männer von größerer Bedeutung ist.