"A 4Day Week for Europe? How to get real working time reduction"

Bericht von der Hybridkonferenz des "European Network for the Fair Sharing of Work" am 20. und 21.10.2022 in Brüssel und online.  Von Margareta Steinrücke
Die alle zwei Jahre stattfindende Konferenz des Europäischen Netzwerks für Arbeitszeitverkürzung befasste sich diesmal wegen der Konjunktur von 4Tagewochen-Experimenten mit dieser Frage, allerdings mit allen Ambivalenzen, die diese Form der Arbeitszeitverkürzung beinhaltet, und mit der Frage, wie wir in Europa zu echter Arbeitszeitverkürzung, auch mit vollem Lohn- und teilweisem Personalausgleich, kommen.
Das Netzwerk, zu dessen Gründungsmitgliedern und Organisator*innen die attac-AG ArbeitFairTeilen aus Deutschland und das Réseau Roosevelt aus Frankreich gehören, konnte dank der großzügigen Unterstützung der Rosa Luxemburg-Stiftung Brüssel und des Europäischen Gewerkschaftsinstituts, sowie der Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt und attac-D, und der tatkräftigen Organisation durch die hauptamtliche Koordinatorin India Burgess vom Autonomy Institute London eine sehr erfolgreiche Konferenz durchführen. Mit etwa 40 Teilnehmenden vor Ort und 400 online Angemeldeten war die Resonanz groß. Das Thema 4Tagewoche liegt in der Luft.

 

Zum einen wurde eine beeindruckende Fülle von Kampagnen und guten Beispielen in Betrieben zur 4Tagewoche präsentiert. Allen voran die 4Day Week Campaign aus Großbritannien mit ihrem Großversuch von 70 Unternehmen mit 3000 Beschäftigten, dessen erste Auswertung durch das Autonomy Institute einen großen Zuspruch bei Beschäftigten wie Unternehmen zeigt. Über 80 % der Teilnehmenden würden die nach dem 100/80/100-Prinzip (100% Lohn/80% Arbeitszeit/100% Leistung) organisierte 4Tagewoche gerne weiterführen. Ähnliche Versuche werden z.Z. auch, untersützt durch Zuschüsse der spanischen Regierung, in der Region Valencia gemacht und in Portugal ist ein ähnlicher Versuch in Planung.

Kontrovers diskutiert wurden die Fragen der Intensivierung und des Personalausgleichs und der Gefahr der reinen Komprimierung der gleichbleibenden Arbeitszeit auf weniger Tage (wie im Modell der konservativen belgischen Regierung) mit der Folge ständig überlanger und gesundheitsschädlicher Arbeitszeiten. Johanna Wenckebach, Direktorin des Hugo Sintzheimer - Instituts in der Hans Böckler - Stiftung, entfaltete präzise die Bedingungen, unter denen eine 4Tagewoche wirklich im Interesse der Beschäftigten wäre: keine regelmäßig über 8 Stunden hinausgehenden täglichen Arbeitszeiten, d.h. Arbeitszeitverkürzung, und zwar mit vollem Lohnausgleich; keine Arbeitsverdichtung, d.h. in der Mehrzahl der Fälle Personalausgleich; verbindliche kollektive Regelungen statt nur individuelle Optionen. Während der Lohnausgleich auch in den meisten schon praktizierten betrieblichen Beispielen unstrittig zu sein scheint, ist für die Unternehmen i.d.R. der Personalausgleich keine Option, da gerade die enormen Produktivitätszuwächse durch Arbeitszeitverkürzung (zwischen 20 und 40%) das Attraktive (neben der erleichterten Personalgewinnung) an einer 4Tagewoche mit Arbeitszeitverkürzung darstellen.

 

Als problematisch unter Gleichstellungs- und Caregesichtspunkten wurde die 4Tagewoche thematisiert, da Sorgearbeit i.d.R. an allen Wochentagen anfällt. Da Sorgearbeit nach wie vor überwiegend von Frauen geleistet wird, könnte eine Komprimierung der Erwerbsarbeit auf 4 Tage eher zu einer Retraditionalisierung ihrer Verteilung statt einer gerechteren Neuverteilung zwischen den Geschlechtern beitragen.

Kontrovers wurde auch diskutiert, ob Ansätze zu Arbeitszeitverkürzung wie die 4Tagewoche Resultat gewerkschaftlicher Kämpfe oder von unternehmerischem Goodwill sein können bzw. sollten. Während die Einen Ansätze eines Wertewandels hin zu nachhaltigeren Formen des Arbeitens auch im Unternehmenslager ausmachten und im Angesicht der andauernden Schwäche der Gewerkschaften eher darauf als Motor für die 4Tagewoche setzten, verwiesen die Anderen darauf, dass in aller Geschichte der Arbeiterbewegung wirkliche Fortschritte bei der Arbeitszeit wie der 8Stundentag, die 5Tagewoche, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder die 35Stundenwoche nicht ohne Kampf, im Zweifelsfalle Streik, zu haben gewesen seien. Zudem könnten nur verbindliche kollektivvertragliche oder gesetzliche Regelungen sicherstellen, dass Arbeitszeitverkürzung wirklich im Lohn-, Gesundheits- und Arbeitsplatzinteresse aller betroffenen Beschäftigten umgesetzt werde.

Überaus erfreulich waren abschließend die berichteten Aktivitäten verschiedener, z.T. neu zum Netzwerk hinzugestoßener Gewerkschaften. So plant der große italienische Gewerkschaftsbund CGIL auf Basis eines gerade erschienenen Büchleins "Lavorare meno - vivere meglio" (Kürzer arbeiten - besser leben) seines früheren Zuständigen für Internationales und Grundsatzfragen Fausto Durante eine organisationsinterne Mobilisierungskampagne in allen Regionen der Gewerkschaft in Italien. Die französische Gewerkschaft CGT hat bereits 2021 eine Kampagne zur 32Stundenwoche gestartet, in Frankreich als Weiterentwicklung der dort per Gesetz geltenden 35Stundenwoche gedacht, u.a. mit einer Broschüre "Traivailler moins, travailler mieux, travailler toutes et tous - c'est possible et urgent" (Weniger arbeiten, besser arbeiten, Arbeit für alle - möglich und dringend notwendig).

 

Während die IG Metall nach ihrem Arbeitszeitverkürzungsabschluss 2018 (28Stundenoption und 8 zusätzliche freie Tage) und der Möglichkeit einer beschäftigungssichernden 4Tagewoche für Krisenbetriebe in der diesjährigen Tarifrunde angesichts der enormen Inflation nur Lohnforderungen gestellt hat und die Schweizer Gewerkschaften nach dem Scheitern einer Volksabstimmung zur 36Stundenwoche 2003 Arbeitszeitfragen eher defensiv behandelt haben, wollen aber sowohl IG Metall als auch die schweizer Gewerkschaft Unia die Frage der Arbeitszeitverkürzung als gesellschaftlichen, auch bei den eigenen Mitgliedern spürbaren, Trend auf ihren Gewerkschaftskongressen 2023 offensiv diskutieren. Ebenso verdi, die in einzelnen Bereichen wie den Sozial- und Erziehungsberufen, in den Kliniken, bei der Post u.a. zusätzliche freie Entlastungstage bzw. Zeit statt Geld-Optionen hat durchsetzen können.

 

Beeindruckend war der Bericht der Vertreterin der isländischen Gewerkschaft der Kommunalbeschäftigten BSRB über die Durchsetzung der 36Stundenwoche als Möglichkeit für inzwischen etwa 80% aller Beschäftigten Islands, nach dem erfolgreichen Modellprojekt damit in der Stadtverwaltung von Rejkjavik und intensiven Debatten über die Notwendigkeit kürzerer Arbeitszeiten für die Work-Life-Balance und die geschlechtergerechte Verteilung der Sorgearbeit. Ähnliche Diskussionen werden inzwischen auch in der schwedischen Gewerkschaft der Kommunalbeschäftigten geführt.

 

Abgerundet wurde die Konferenz durch Beratungen über die Zukunft des European Network for the fair Sharing of Working Time. Nach der Gewinnung einer hauptamtlichen Koordinatorin, India Burgess vom Autonomy Institute in London, steht gerade die Konstruktion einer Website an. Unter dem verschlankten Namen "European worktime network" sollen damit der Austausch und die Beratung über Ansätze von Arbeitszeitverkürzung in Europa intensiviert und systematisiert werden, u.a. durch die Fortführung des europäischen Newsletters zu Arbeitszeitverkürzung und der alle 2 Jahre stattfindenden Konferenzen, aber auch durch neue Formate wie eine 8teilige Mittags-Webinarreihe zu verschiedenen Aspekten von Arbeitszeitverkürzung in Europa. Für die Finanzierung all dieser Aktivitäten und für das ehrenamtlich tätige Koordinationskomitee braucht das Netzwerk dringend Unterstützung. Einige der an der Konferenz Teilnehmenden wollen in ihren Organisationen entsprechende Anfragen stellen.