Best Practice-Beispiele für Arbeitszeitverkürzung

Übersicht über verschiedene Branchen mit 4-Tage-Woche und/ oder Arbeitszeitverkürzung

 

Auch mir tut die Vier-Tage-Woche gut"

Im Interview mit Ingeborg Mehser sprach Sylvia Heisenhuber über die Einführung der Vier-Tage-Woche in ihrem Betrieb.

Die Firma Siebdruckcenter, Textildruck und Stickerei gibt es seit 1993, Sylvia Heisenhuber hat sie aufgebaut, begonnen hat sie zuerst zu zweit mit einem Partner, als sie selbst noch im Abitur war. Inzwischen gibt es zwölf Mitarbeitende, die meisten schon mehrere Jahre dabei, und sie bildet auch selbst aus. „Wir legen Wert auf Qualität" sagt sie, „das erreicht man nur mit Kontinuität beim Personal". Ein Betrieb mit flachen Hierarchien, jeder Bereich ist für sich selbst verantwortlich.

Vor einigen Jahren hatte sie schon mal über eine Vier-Tage-Woche nachgedacht. Im August 2022 hörte sie dann einen Bericht über eine Tischlerei, holte dort Informationen ein und schickte die Idee über die WhatsApp-Gruppe der Firma. Die Resonanz war positiv, es gab wenige Bedenken. Am Freitag wurde bereits vorher kürzer gearbeitet als an den anderen Tagen, Überstunden wurden schon vorher wenig gemacht. Jetzt wird von Montag bis Donnerstag eine Stunde länger gearbeitet, Freitag ist frei bei vollem Lohnausgleich.

Die Reaktionen von den Kund:innen? Unterstützend, sie finden das gut.

 

Fazit nach einigen Monaten: Für die Kolleg:innen ist der freie Tag toll; um sich um die eigenen Termine zu kümmern. Sylvia Heisenhuber kennt auch Zeiten mit 60-70 Arbeitsstunden pro Woche. Sie sagt „Auch mir tut die Vier-Tage-Woche gut."

 

 

So läuft die 4-Tage-Woche bei „Da Fabio“, Feinkostgeschäft im Bremer Viertel

 

Das italienische Feinkostgeschäft „Da Fabio“ existiert schon seit Anfang der 80er Jahre im Bremer Viertel. Nach 40 Jahren hat inzwischen Fabio Chiarilli, der Sohn des ehemaligen Besitzers, das Geschäft übernommen. Aufgrund seines fortgeschrittenen Alters hatte sein Vorgänger zuvor die Arbeitszeit reduziert und nur noch an vier Tagen geöffnet, von Sonntag bis Dienstag blieb der Laden geschlossen.

Chiarilli, der zuvor als Filialleiter eines Weinhandels tätig war, hat auch mit anderen Arbeitszeitmodellen Erfahrungen gemacht, beschäftigte sich aber immer wieder mit der Frage wie viel und wie er eigentlich arbeiten möchte. Als fest stand, dass er den Laden seines Vaters übernehmen wird, hat er sich im Hinblick auf seine Lebensplanung und auch auf Rat des ehemaligen Inhabers dafür entschieden die 4-Tage-Woche beizubehalten. Dieser hatte zuvor eine Mitarbeiterin in Teilzeit eingestellt, jetzt sind Vater und Sohn die einzigen Mitarbeiter des Geschäfts. Für wöchentlich ungefähr 25 bis 30 Stunden arbeitet der 72-Jährige immer noch im Laden mit.

Chiarilli ist zufrieden mit der Entscheidung, denn gerade als Selbständiger falle auch außerhalb der Öffnungszeiten häufig noch Arbeit an, weshalb der Ausgleich besonders wichtig sei. Auch wenn er seine Arbeit gerne mache, sei ihm eine ausgeglichene Work-Life-Balance wichtiger als etwaige Lohneinbußen, wobei sich auch nicht einmal beurteilen lasse ob sie überhaupt zustande kommen würden.

 Mit dem Wechsel des Besitzers hätten einige Kund:innen gehofft, der Laden würde jetzt länger geöffnet sein, aber dass sie negativ reagierten oder weg blieben ließ sich nicht feststellen. Sollte er sich doch noch dazu entscheiden einen Tag mehr geöffnet zu haben, würde er noch jemanden einstellen wollen, sodass seine eigene Arbeitszeit gleich bleibt. Ansonsten ließen sich bisher keine Nachteile des Arbeitszeitmodells für ihn oder sein Geschäft erkennen.

 

 

Case Study: Österreichische Online Marketing Firma eMagnetix führt 30-Stunden-Woche ein

Die Online Marketing Firma eMagnetix hatte sich acht Jahre nach Entstehung zwar etabliert und
bekam genug Aufträge, aber es mangelte an geeigneten Bewerber:innen um diese umsetzen zu können. Auf eine ausgeschriebene Juniorstelle gab es nur etwa zehn Anfragen von meist ungeeigneten Personen. Grund dafür sei neben dem allgemeinen Fachkräftemangel der Standortnachteil der im Landkreis von Linz gelegenen Firma sowie eine veränderte Haltung der jungen Generation in Bezug auf Arbeit.

Um wettbewerbsfähiger zu werden und die Attraktivität des Unternehmens für potentielle Bewerber:innen zu erhöhen zog der Vorgesetzte schließlich eine Verkürzung der Arbeitszeit in Betracht. Die Vollzeit sollte dabei von 38,5 auf 30 Stunden reduziert werden. Neben der Entlastung der Beschäftigten und der Verbesserung der Rekrutierung sollte das neue Modell auch die Produktivität des Unternehmens erhalten.
Als die Idee der Arbeitszeitverkürzung vorgestellt wurde gab es gemischte Reaktionen, da die Arbeitslast zunächst steigen müsste bevor potentielle Bewerber:innen von dem Modell erfahren und eingestellt werden könnten. Auf kurze Sicht musste also erstmal eine Verkürzung von 8,5 Stunden pro Woche ausgeglichen werden.

Um das zu erreichen entschied sich die Firma für einen mehrstufigen Prozess mit der Möglichkeit zur Rückkehr in die Ausgangssituation, falls das Vorhaben scheitern sollte. Unter der Anwendung (digitaler) Methoden und Werkzeuge identifizierten die Mitarbeiter:innen viele Einzelmaßnahmen um die Arbeitslast effektiv auf die Beschäftigten zu verteilen und auf Unnötiges zu verzichten. Dabei waren drei Ideen zentral: die Automatisierung von unkomplizierten Aufgaben, die Meetings unter Einbeziehung von Agenden möglichst kurz zu halten und bessere Bedingungen für unterbrechungsfreie Arbeitsphasen zu schaffen. In der nächsten Phase, Test und Evaluation, konnten eventuelle Korrekturen an den Maßnahmen vollzogen werden.

Nachdem die 30-Stunden-Woche probeweise sechs Wochen lang eingeführt wurde, evaluierten die Mitarbeiter:innen sie in der nächsten Prozessphase. Das Ergebnis zeigte, dass 17 Prozent der Zeit eingespart werden konnte. Da das aber noch nicht genügte um die gewünschten 30 Stunden zu erreichen, beschloss der Geschäftsführer die Stunden gestaffelt zu verringern. Um das neue Modell auch vertraglich zu regeln mussten noch zwei Änderungen vorgenommen werden: Die Wochenarbeitszeit musste auf 30 Stunden reduziert und die aktuelle Gleitzeitregelung daran angepasst werden.

Als nächstes folgte dann die Einführungsphase um die abgeschlossene Umstellung optimal zu realisieren. Es wurde zuerst auf 34 Stunden reduziert und die Zeitersparnis in den Folgemonaten ausgewertet. Erst eineinhalb Jahre nach Vorstellung des neuen Arbeitszeitmodells stellte eMagnetix schließlich auf 30 Stunden um.

Die einzelnen Phasen in dem Prozess wurden wissenschaftlich begleitet, unter der Förderung der Wiener Arbeiterkammer. Bei einer Befragung der Beschäftigten ein Jahr nach Einführung des Modells zeigte sich, dass sich die Work-Life-Balance sowie der Gesundheitszustand verbessert hatten. Die Arbeitsbelastung wurde als geringer empfunden, obwohl die Arbeit jetzt in kürzerer Zeit erledigt werden musste. Durch den Zugewinn an Freizeit konnte außerdem die Sorgearbeit, zum Beispiel bei der Kinderbetreuung, besser unter den Beteiligten aufgeteilt werden.

 

Vor allem wurde aber auch das Problem der fehlenden Fachkräfte gelöst: seit das neue Arbeitszeitmodell eingeführt und publik wurde, ist die Zahl der Bewerber:innen teilweise um den Faktor 10 gestiegen. Auch die Produktivität hat sich zum Positivem verändert: vergleicht man die vier Jahre vor der Einführung mit den vier danach erhält man eine Steigerung von 34 Prozent. Das Fazit der Modelleinführung lautet demnach, dass die Agentur durch die Einführung der 30-Stunden-Woche alle ihre Anforderungen erfüllen und in puncto Produktivität sogar deutlich übertreffen konnte.

Ein Artikel von Christina Groß auf Basis der Case Study „30 Stunden bei vollem
Gehalt“ von Paul Fenski

 

 

4-Tage-Woche bei „Headhunter“, Friseursalon im Bremer Viertel

 

Im Interview mit der Bremer Arbeitszeitinitiative sprach Detlef Gehlhaar über die Einführung der 4- Tage-Woche in seinem Friseursalon.

Vor ungefähr einem Jahr änderte Detlef Gehlhaar die Arbeitszeiten in seinem Friseursalon „Headhunter“ in Bremen. Eingeführt wurde eine 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich. Das neue Modell wurde über einen Zeitraum von einem Jahr schrittweise erprobt, indem nach und nach die Stunden am Samstag reduziert wurden. Die Mitarbeiter*innen arbeiten von Dienstag bis Freitag jetzt eine halbe Stunde mehr, insgesamt 36 Stunden, was eine effektive Verkürzung von 4 Stunden plus einen freien Tag mehr in der Woche ergibt.

Seine Beweggründe waren vor allem der Fachkräftemangel aber auch der Lockdown, der durch die langen Schließungen und dem dadurch entstandenen Abstand zu seiner Arbeit erst ein Umdenken für ihn möglich gemacht hätte. Früher habe er sich so ein Konzept nicht vorstellen können, sei selber kritisch gegenüber kürzeren Arbeitszeiten gewesen. Obwohl er seinen Job sehr gerne macht und auch nie ein Problem damit hatte viel zu arbeiten, ginge es ihm und auch seinen Angestellten nun besser. Dadurch, dass die Freizeit jetzt flexibler organisiert werden kann und so mehr Zeit für andere Aktivitäten bleibt, hat sich die Lebensqualität gesteigert. Entgegen den Erwartungen sei nicht nur die Motivation und Produktivität gestiegen, sondern auch der Umsatz, sogar ohne Preiserhöhungen für die Kundschaft.

Auch wenn der Salon jetzt einen Tag weniger geöffnet hat, unterstützen die Kund*innen das neue Konzept. Die Energiekosten fallen geringer aus und das Image von „Headhunter“ ist gestiegen. Dadurch gibt es inzwischen auch eine gesteigerte Anzahl an Bewerber*innen. Auch sonst lassen sich bisher nur Vorteile an der 4-Tage-Woche erkennen. Trotz allem sollte die Entscheidung gut durchdacht sein, da sie sich nicht mehr umkehren lässt, so Gehlhaar.

 

 

Mittlerweile gibt es eine Reihe von Unternehmen die ihre Arbeitszeit drastisch gekürzt haben, teilweise gibt es sogar flächendeckende Modellprojekte.

In Göteborg setzen seit vielen Jahren mehrere Unternehmen auf den 6-Stunden Tag, darunter etwa das dort ansässige Toyota-Werk. Das Ergebnis: Gleiche Produktivität, gestiegener Umsatz, weniger Krankschreibungen, zufriedene Mitarbeiter. 

Auch in Bielefeld in der IT-Agentur Rheingans Digital Enabler wird eine verkürzte Arbeitszeit gefahren, nämlich nur 25-Wochenstunden. Auch hier möchte der Geschäftsführer nicht zu einem 8-Stunden-Tag zurückkehren.

 

 

Die Broschüre 'Neue Arbeitszeiten Beispiele aus der betrieblichen Praxis in Bremen ist eine Kooperation der Arbeitnehmerkammer, der Hochschule Bremen und dem Verein Impulsgeber Zukunft. 2019 wurde die aktualisierte Variante herausgebracht. Hier werden Betriebe aus Bremen vorgestellt, die verschiedenste umfassende Maßnahmen aus dem Bereich der Arbeitszeitverkürzung, -individualisierung, und -flexilibisierung eingeführt haben. Diese Firmen sind Beispiele dafür, dass ein funktionierender Betrieb ohne klassische Arbeitszeiten mit über 40 Stunden pro Woche nicht nur auskommen, sondern auch erfolgreich sein kann.

Im Mai 2014 wurde in Bremen der Entwurf für ein „Gesetz zur Beschäftigungsförderung
durch Arbeitsumverteilung (BFAU)“ vorgestellt. Er rückt einen in der Diskussion um
Arbeitszeitverkürzung vernachlässigten Aspekt in den Mittelpunkt: Die Schaffung von
Arbeitsplätzen und damit den Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit, ungewollter Teilzeitarbeit
und prekärer Beschäftigung.


Im Folgenden sind weitere Beispiele von Arbeitszeitverkürzung in Betrieben oder als ökonomische Strategie dokumentiert sowie ein Beispieltext für eine Betriebsvereinbarung für mobiles Arbeiten verfasst:

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Erfolg mit Kurzarbeit
Pressemitteilung der Hans-Böckler-Stiftung zur Studie über Arbeitszeitverkürzung
HBS-PM-Erfolg mit Kurzarbeit 2012.pdf
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Weniger ist Mehr
BroschüreWeniger_ist_mehr_web.pdf
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Beispieltext Betriebsvereinbarung zur Verwendung
Betriebsvereinbarung Mobiles Arbeiten.do
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Neue Arbeitszeiten
Neue Arbeitszeiten.pdf
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